Herr Dr. Goedereis, im Frühjahr dieses Jahres haben Sie den Kriterienkatalog zur „Christlichkeit im Krankenhaus (CiK)“, den die St. Franziskus-Stiftung Münster erarbeitet hat, öffentlich vorgestellt. Was war der Auslöser, einen solchen Kriterienkatalog zu erstellen?
Goedereis: Ein Auslöser bestand darin, unsere Aktivitäten und Strukturen der vergangenen Jahre systematisch zu erfassen und im Sinne der Organisationsentwicklung möglichst objektiv bewerten beziehungsweise messen zu können. Auf Basis des Instruments CiK wollen wir regelmäßig die unterschiedlichsten Facetten unseres christlichen Profils überprüfen und weiterentwickeln. Insofern soll der Kriterienkatalog christliche Werte sichtbar, nachvollziehbar und bewertbar machen. Darüber hinaus haben wir überlegt, wie wir eine solche Messung oder Bewertung nach innen und außen kommunizieren können. Wir haben den Kriterienkatalog stiftungsintern erarbeitet und bereits erprobt. InZusammenarbeit mit dem Bistum Münster und dem Diözesan-Caritasverband haben wir im Frühjahr diesen Jahres die Arbeitsweise und einige inhaltliche Aspekte des Kriterienkatalogs einer breiteren Öffentlichkeitvorgestellt. Wir haben entschieden, dass unter Berücksichtigung einheitlicher Regeln auch andere, christlich basierte Gesundheitseinrichtungen das Instrument CiK anwenden und sich aktiv beteiligen können. Wir sehen die Umsetzung unserer christlichen Identität als eine permanente Aufgabe an. Daher ist auch solch ein Instrument wie das CiK ständig neuen Impulsen ausgesetzt, sodass sich auch der Kriterienkatalog kontinuierlich weiterentwickeln wird.
Wie viel Zeit hat die Erstellung in Anspruch genommen, und welcher Entstehungsprozess liegt dem zugrunde?
Goedereis: Vor zwei Jahren hatten wir ein Projekt „Das christlich-franziskanische Profil weiterentwickeln und erlebbar machen“ durchgeführt, bei dem wir mit vielen Mitarbeitern unserer Einrichtungen in einen selbstkritischen Dialog getreten sind. Geleitet von der Frage: Wie zeigt sich eigentlich unser „christlich-franziskanisches Profil?“, haben die Einrichtungen sich auf den Weg gemacht. Wichtig dabei war, dass wir uns nicht nur die Frage stellen, ob unser Profil sichtbar und im Alltag erlebbar beziehungsweise spürbar ist, sondern auch, wie es messbar und dadurch bewertbar wird. Im Ergebnis haben sich aus dem damaligen Projekt viele weitere Aktivitäten entwickelt, so auch der CiK-Katalog.
Wie heben sich die Einrichtungen der St. Franziskus- Stiftung Münster dadurch von anderen Häusern ab?
Goedereis: Es geht uns mit CiK nicht primär darum, uns von anderen Krankenhäusern abzuheben, sondern dass wir damit auf der Basis unserer Erfahrungen und unserer Unternehmenskultur einen geeigneten Kriterienkatalog entwickelt haben. Dabei ist uns bewusst, dass man die Christlichkeit einer Einrichtung nicht in einer Kennzahl oder einem Gesamtwert darstellen kann. Für uns ist es nicht wichtig, dass wir über Zahlen eine „Scheingenauigkeit“ haben. Wir aggregieren bei CiK insofern auch keine Zahlen zu einer Gesamtkennzahl.
Inwiefern unterstützt der Träger die Ausbildung dieses christlichen Profils im Krankenhaus?
Goedereis: Ich unterscheide hierbei zwischen der Individualebene und der Organisationsebene. Ein im Alltag spürbares christliches Profil geht nur mit den Menschen in unseren Einrichtungen, also insbesondere den Mitarbeitern. Als Träger ist es auf der Individualebene wichtig, wie wir unsere Mitarbeiter ansprechen, interessieren, vielleicht sogar begeistern und auch ein Stück weit befähigen können, in der Selbstreflexion über sich und ihren Beruf und Glauben nachzudenken, sodass etwas wie Freude und Zufriedenheit sich auch in der Haltung, im Verhalten und in der Kommunikation widerspiegeln. Die Organisationsebene besteht unter anderem darin, dass wir ganz bewusst Strukturen in der Organisation schaffen, wie feste Ansprechpartner und Verantwortlichkeiten sowie institutionalisierte Abläufe. Zudem stellen wir entsprechende finanzielle Ressourcen bereit, beispielsweise für Fort- und Weiterbildungsangebote unserer Mitarbeiter in Fragen von Spiritualität, Glaube, Beruf und Berufung.
Herr Professor Fischer, eine Arbeitsgruppe hat sich damit befasst, was benötigt wird, um das christliche Profil im Krankenhaus kontinuierlich zu reflektieren und dadurch zu schärfen. Wie muss man sich die Arbeit dieser Expertengruppe vorstellen? Wer bringt welche Expertise ein?
Fischer: Eine interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe hat den Kriterienkatalog erstellt. In der Arbeitsgruppe vertreten waren Personen aus dem Qualitätsmanagement, der Pflege, der Medizin, der Seelsorge, der Ethik und der Unternehmenskommunikation. Zunächst haben wir uns überlegt, was auf der Grundlage unseres Leitbildes für unsere Identität entscheidend ist. Dann haben wir, aufbauend auf unseren langjährigen Erfahrungen, alle relevanten Themenbereiche aus unseren Einrichtungen gesammelt und systematisiert. Schließlich haben wir uns darauf verständigt, welche der Themen für uns entscheidend sind. Alle im CiK relevanten Themenfelder haben wir mit einem konkret formulierten Ziel versehen und mit durchschnittlich fünf Indikatoren hinterlegt. Wie bereits erwähnt, haben wir auf Kennzahlen verzichtet, weil sich kulturelle Themen nicht mit Zahlen allein abbilden lassen. Im CiK arbeiten wir bei der Bewertung nach einer Art Ampelprinzip, das wir auch in anderen Organisationsentwicklungs- und Steuerungsinstrumenten verwenden.
Aber dennoch muss es überprüfbar und nachweisbar sein?
Fischer: Das ist richtig. Daher arbeiten wir mit Indikatoren, anhand derer wir recht konkret bewerten können, in welchem Maß die Ziele unseres Kriterienkatalogs umgesetzt sind. Am Beispiel der ethischen Fallbesprechung – einem Instrument, um bei besonders heiklen Situationen noch einmal im Sinne einer bestmöglichen Lösung für den Patienten ins Gespräch zu kommen – lässt sich das exemplarisch erklären. Das Ziel heißt: „In allen relevanten Bereichen werden ethische Probleme in interdisziplinären ethischen Fallbesprechungen bearbeitet.“ Ein Indikator hierbei ist beispielsweise, dass ein Konzept für eine ethische Fallbesprechung schriftlich vorliegt, eingeführt und allen bekannt ist. In diesem Konzept ist der gesamte Ablauf einer ethischen Fallbesprechung festgelegt, der eingehalten werden muss. Weiterhin müssen die Ergebnisse einer Fallbesprechung dokumentiert werden. Dazu bedarf es speziell geschulter Moderatoren, die eine Fallbesprechung leiten und die wir intern fortbilden. Ein weiterer Indikator ist, dass je nach Größe und Komplexität des Krankenhauses eine bestimmte Zahl ethischer Fallbesprechungen im Jahr stattfinden sollte; diese Zahlen basieren auf langjährigen Erfahrungswerten. Auf der Grundlage aller bewerteten Indikatoren kann man dann gut sehen, wie der Stand der Umsetzung im Hinblick auf das Kriterium „Ethische Fallbesprechung“ ist.
Und wie viele Indikatoren gibt es?
Fischer: Insgesamt haben wir 200 Einzelindikatoren im Kriterienkatalog hinterlegt. Alle Einrichtungen der St. Franziskus-Stiftung schätzen sich auf der Grundlage dieser Indikatoren zunächst selbst ein. Im Anschluss daran erfolgt ein Reflexionsgespräch mit Vertretern der St. Franziskus-Stiftung, in dem wir über die Selbsteinschätzung ins Gespräch kommen und die weitere Entwicklung planen. Bei den Reflexionsgesprächen geht es nicht um Kontrolle, sondern vielmehr darum, über Themen ernsthaft ins Gespräch zu kommen und weitere verbindliche Maßnahmen und Perspektiven zu entwickeln.
Eine Bewertung ist dann aber subjektiv?
Fischer: Die Bewertung besteht aus einer Mischung: Sie beruht auf objektiven und zum Teil messbaren Fakten sowie auf subjektiven Einschätzungen. Eine scheinbare Objektivität hilft uns nicht weiter. Wichtig ist eine ehrliche und nachvollziehbare Einschätzung auf Grundlage unserer Indikatoren. Die gute Mischung der Indikatoren ist dabei entscheidend.
Wenn festgestellt wird, dass es Verbesserungspunkte gibt, haben diese dann auch die Möglichkeit, noch im Kriterienkatalog aufgenommen zu werden?
Fischer: Der Katalog als Instrument ist im Wandel, denn wenn Mitarbeitern etwas auffällt, das verändert werden sollte, können und sollen sie Vorschläge machen, damit neue Elemente integriert werden können. Darüber hinaus möchten wir alle, die mit dem CiK arbeiten, miteinander vernetzen. In sogenannten Anwendertreffen sollen die verschiedenen Häuser unserer Stiftung, aber auch Anwender außerhalb unserer Stiftung, Erfahrungen und Ideen austauschen. Wichtig ist natürlich, dass man auf Basis der Bewertung – das heißt dort, wo vielleicht noch „Luft nach oben ist“ – Maßnahmen und Projekte festlegt, die bearbeitet und dann beim nächsten Durchlauf erneut bewertet werden sollen.
Herr Dr. Goedereis, wie wird ein christliches Profil denn überhaupt im Krankenhaus spürbar?
Goedereis: Wie schon gesagt, wird ein christliches Profil in erster Linie durch die Menschen und deren Haltung spürbar. Etwa in Form eines guten Gesprächs, durch Freundlichkeit, durch Zuwendung. Es ist also sozusagen die „Ethik des Alltags“, die das christliche Profil wirklich erlebbar macht. Die Atmosphäre im Krankenhaus und im täglichen Miteinander ist dabei sehr wichtig. Ebenso sind für uns die institutionalisierte Seelsorge und weitere religiöse Angebote selbstverständlich. Dazu gehören auch christliche Symbole, die in möglichst vielen Räumen der Krankenhäuser sichtbar sind. Mitarbeiter und Patienten können sich auch so unseren Auftrag vergegenwärtigen. Darüber hinaus legen wir großen Wert auf den interreligiösen Dialog und die Achtung der religiösen Bedürfnisse nicht christlicher Religionsangehöriger. Auch dazu gibt es Fortbildungen und Handreichungen für unsere Mitarbeiter. Mit dem neuen Kriterienkatalog CiK versuchen wir, noch mehr Mitarbeiter auf diese Fragen des christlichen Profils anzusprechen und zur Mitarbeit zu bewegen.
Bedeutet dies, dass sich die St. Franziskus-Stiftung Münster zu einer Leitkultur bekennt?
Goedereis: Der Leitkultur-Begriff hat ja durch die politische Diskussion der jüngeren Vergangenheit eine ganz eigene Bedeutung erhalten. Als katholisch geprägte Stiftung ist es selbstverständlich, dass wir unser Bekenntnis und unseren karitativen Auftrag auch durch religiöse Symbole offen zeigen. Dazu benötigen wir aber kein Gesetz. Ich behaupte, wenn Sie in eines unserer Krankenhäuser eintreten, wird ihnen prominent ein solches Symbol begegnen. Wir versuchen das in vielen Bereichen des Hauses zu gewährleisten, ohne aufdringlich zu wirken. Dabei geht es nicht um Leitkultur, sondern um die christlich-franziskanische Tradition, aus der wir stammen. Wir pflegen – wie gesagt – intensiv den interreligiösen Dialog und haben seit Kurzem beispielsweise auch engagierte Menschen muslimischen Glaubens als ehrenamtliche Begleiter in der Seelsorge. Wir möchten kulturell und religiös klar erkennbar sein, aber genauso weltoffen – auch das ist franziskanische Tradition. Jeder Mitarbeiter, Patient und Angehörige hat die Möglichkeit, religiöse Angebote in Anspruch zu nehmen, Gespräche zu führen und, wenn er es wünscht, sich mit dem (christlichen) Glauben auseinanderzusetzen. Es gibt nicht wenige Menschen, die von sich behaupten, nicht wirklich gläubig zu sein, die sich aber in einer z.T. existenzgefährdenden gesundheitlichen Lebenssituation genau mit diesen Fragen beschäftigen. Auch dafür gilt es, gute Angebote zu haben.
Herr Professor Fischer, kann man das dann nicht auch als missionarischen Auftrag verstehen?
Fischer: Wir bieten jedem Patienten bei uns an, Gespräche zu führen oder sich mit Fragen des Glaubens zu beschäftigen. Wir begleiten alle Menschen, unabhängig von ihrer religiösen Einstellung oder Weltanschauung. Wir versuchen Angebote zu machen, die den Menschen in ihrer konkreten Lebenssituation weiterhelfen. Dies gilt nicht nur für Patienten, sondern auch für die Mitarbeiter. Angefangen bei ganz praktischen und gemeinschaftsbildenden Angeboten wie dem biblischen Kochen oder dem gemeinsamen Singen über Pilgerwanderungen und -fahrten bis hin zu Besuchen der Heimatstadt von Franz von Assisi in Italien. In der Advents- und Weihnachtszeit haben wir häufig einen kurzen geistlichen Impuls für die Mitarbeiter – zum Teil nicht nur in der Kapelle, sondern auch auf den Stationen.
Herr Dr. Goedereis, wie lässt sich Christlichkeit mit wirtschaftlichem Erfolg vereinbaren?
Goedereis: Generalvikar Theo Paul, der Vorsitzende des Katholischen Krankenhausverbandes, betont gern, dass im Krankenhaus keine Kundenbeziehung, sondern eine Sorgebeziehung besteht. Ich finde, mit dieser Umschreibung wird schon eine ganze Menge gesagt. Die Patienten, die mit einer Krankheit zu uns kommen, sind keine Kunden, denn sie haben zumeist nicht die Wahl, ob sie überhaupt ein Produkt oder eine Behandlung in Anspruch nehmen wollen oder nicht. Sie stellen in diesem Sinne also keine individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Wenn Patienten krank sind, stehen sie in einer Sorgebeziehung und müssen ganzheitlich behandelt werden. Dem steht aber nicht entgegen, wirtschaftlich in dem Sinne zu arbeiten, dass wir mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen verantwortungsvoll umgehen. Die Vermeidung von Verschwendung ist in meinem Verständnis etwas durchaus Christliches. Natürlich müssen wir, wie jedes andere Krankenhaus auch, dauerhaft Gewinne erwirtschaften, um beispielsweise Investitionen tätigen zu können, da die eigentlich gesetzlich festgeschriebenen Mittel bekanntermaßen nicht ausreichen. Ebenso wollen wir bewusst in unsere Angebote zur Wahrung unserer christlichen Tradition und des christlichen Profils investieren – auch das kostet Geld.
Welche Rolle spielen christliche Traditionen wie Krankensalbungen und Segnungen?
Goedereis: Bei uns sind Sakramente wie christliche Krankensalbungen und liturgische Angebote ein ganz normaler Bestandteil des Krankenhausalltags. Besonders wichtig ist dabei, dass die Mitarbeiter darin geschult sind, Patienten und auch Angehörige darauf anzusprechen, dass es diese Angebote gibt und sie in Anspruch genommen werden können. Neben den „klassischen“ Sakramenten und liturgischen Anlässen gibt es aber auch vielfältige Angebote für Menschen, die nicht so mit religiösen Ritualen vertraut sind, zum Beispiel Segnungen für neugeborene Kinder oder Wortgottesdienste für Angehörige von verstorbenen Patienten.
Die Krankenkassen zahlen aber für diese zusätzlichen Leistungen nicht. Wie wird das Ganze dann finanziert?
Goedereis: Der gesamte Rahmen, der von uns bereitgestellt wird, angefangen von den Personalressourcen bis hin zu Bildungsangeboten, beispielsweise viele Tausend zusätzliche Fortbildungsstunden, ist nirgendwo in den DRG eingepreist. Das ist also ein Stück weit unsere „Kernrendite“, die wir erwirtschaften wollen und müssen. Unser Gewinn wird ja nicht an Anteilseigener oder Dritte ausgeschüttet, sondern das Geld verbleibt für die bestmögliche Versorgung unserer Patienten in den Häusern. Und zur bestmöglichen Patientenversorgung gehört gemäß dem Kernauftrag der Stiftung auch die religiöse und bei uns christliche Basierung, die eben nicht vom Himmel fällt, sondern in die wir gezielt und in unterschiedlichen Dimensionen investieren.
Sie erhalten also auch keine finanzielle Unterstützung durch Kirchensteuern?
Goedereis: Nein, wir wirtschaften ohne Kirchensteuern. Der gesamte wirtschaftliche Prozess unserer Häuser funktioniert nur durch die eigene Arbeit im Rahmen der üblichen Finanzierungssysteme im Gesundheitswesen.
Müssen Mitarbeiter Mitglied in einer christlichen Kirche sein?
Goedereis: Wir erwarten eine besondere Identifikation mit den Zielen unseres Auftrages sowie das Mittragen und die Ausgestaltung unseres christlich geprägten Leitbildes. Die meisten unserer Mitarbeiter gehören der katholischen oder einer anderen christlichen Kirche an. Wir haben aber auch Mitarbeiter muslimischen Glaubens beschäftigt. Ebenso gibt es auch Mitarbeiter, die aufgrund ihrer persönlichen Vita nie kirchlich sozialisiert oder gebunden waren. Alle Mitarbeiter sind eingeladen, sich mit dem Wesen unseres karitativen Grundauftrages – also der Frage, warum wir überhaupt Krankenhäuser betreiben – auseinanderzusetzen. Dann ist man schnell bei Glaubensfragen und dem Aspekt des eigenen Berufs und der eigenen Berufung. Natürlich freuen wir uns, dass sehr viele unserer Mitarbeiter sich in religiös-kirchlichen Projekten und Aktivitäten bei uns engagieren und oftmals auch in ihrem privaten Umfeld kirchlich aktiv sind.
Wird den Arbeitsverträgen Ihrer Mitarbeiter dennoch eine Werte-Charta angefügt, an der sie sich orientieren können?
Goedereis: Bei uns erhalten alle Mitarbeiter mit ihren Arbeitsverträgen unser Leitbild und unsere Leitsätze. Das sind – kritisch betrachtet – natürlich zunächst einmal wohl- formulierte Sätze. Entscheidend ist, den Wertekanon des Leitbildes immer wieder präsent zu halten. Das beginnt bereits in den verpflichtenden Einführungsveranstaltungen in den Einrichtungen, aber auch in der Stiftung und im Mutterhaus unseres Ordens. Hier beschäftigen wir uns mit Fragen unserer Tradition und ihrer Umsetzung im Berufsalltag. An diesen Einführungsveranstaltungen wirken auch unsere Ordensschwestern, die Mauritzer Franziskanerinnen, aktiv mit. Viele Mitarbeiter kommen bei dieser Gelegenheit erstmals mit Ordensleuten in Kontakt und sehen ein Kloster von innen. Wir wollen keine Richtlinien oder Regelwerke verteilen, sondern miteinander über Christlichkeit und über unsere innere Haltung ins Gespräch kommen.
Das heißt, Christlichkeit im Krankenhaus ist nicht als Top-Down-Prozess zu verstehen, sondern die Mitarbeiter können daran mitwirken?
Goedereis: Richtig. Wir sehen, dass sich viele Mitarbeiter gerne in Projektgruppen engagieren, in denen sie religiöse oder seelsorgliche beziehungsweise einfach gemeinschaftsstiftende Angebote für ihre Kollegen und auch Patienten erarbeiten. Die Mitarbeiter entwickeln die Konzepte selbst, das ist keine detaillierte Vorgabe der Geschäftsführung oder des Stiftungsvorstandes. Natürlich bedarf es immer wieder Impulsen aus der Leitung; die Leitung muss den organisatorischen Rahmen schaffen und soll sich natürlich auch selbst aktiv beteiligen, so zum Beispiel bei CiK. Es ist aber durchaus franziskanische Tradition, dass alles geerdet abläuft und nicht abgehoben ist. Der Mix im Umgang miteinander ist ausschlaggebend, bei dem nicht immer das Label der Christlichkeit steht, sondern einfach darauf beruht, was Christlichkeit ausmacht.
Denken Sie, andere Krankenhäuser in Deutschland könnten insgesamt alle ein wenig mehr Christlichkeit vertragen?
Goedereis: Die Christlichkeit anderer konfessioneller und nicht konfessioneller Krankenhäuser zu bewerten, finde ich nicht angemessen. Was alle – und nicht nur Krankenhäuser – sicherlich vertragen können, ist mehr Menschlichkeit im Sinne guter und wertschätzender Beziehungsebenen. Der Begriff der umfassenden Sorge beschreibt gut unser Anliegen, und wir versuchen in unserer Stiftung mit all ihren Einrichtungen dazu beizutragen. Wenn es um die Frage der Christlichkeit oder Menschlichkeit geht, müssen sich auch die Politik und die Verantwortlichen im Gesundheitswesen dieser Sorgebeziehung bewusst sein und beispielsweise die Ökonomisierungsschraube nicht überdrehen. Alle Beteiligten sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Versorgung kranker Menschen kein industrieller Prozess ist und von keiner Kundenbeziehung gesprochen werden kann, sondern, wie bereits erwähnt, von einer Sorgebeziehung. Diese Beziehung benötigt in vielen Aspekten einen ganz anderen Rahmen.
Christlichkeit im Krankenhaus (CiK) ist ein von der St. Franziskus-Stiftung entwickeltes Instrument, um das christliche Profil von Krankenhäusern zu schärfen. Mithilfe von Indikatoren werden im Sinne der Organisationsentwicklung christliche Werte und damit verbundene Maßnahmen, Projekte und Aktivitäten sichtbar, nachvollziehbar und bewertbar gemacht.