Die Idee zur Aktion hatten die Chefärzte selbst. Sie möchten ihre Wertschätzung gegenüber der Pflege auf besondere Art und Weise ausdrücken, das familiäre Miteinander im Haus unterstreichen und auf den Fachkräftemangel aufmerksam machen. Also, ran an die Arbeit.
6 Uhr, Schwesterndienstzimmer, Station 1b. Die Schicht beginnt für Dr. Thomas Günnewig, Chefarzt der Geriatrie/Neurologie, mit der Übergabe. Ausführlich berichtet die Nachtschicht über die Geschehnisse der Nacht. Noch einen Schluck Kaffee zur Stärkung und dann geht es los in die Patientenzimmer. „Guten Morgen, ich bin heute Ihr Pflegehelfer“, begrüßt Dr. Günnewig die Patienten in Zimmer 143 euphorisch. Blutdruck messen, Waschschüssel bereitstellen, bei der Morgenpflege helfen, Betten frisch beziehen, Nachtschränkchen desinfizieren… So zog Dr. Günnewig im Schlepptau von Anke Kunze von Zimmer zu Zimmer auf Station 1b. Die ersten Schweißperlen stehen auf der Stirn. Während bei den erfahrenen Pflegekräften alle Handschläge sitzen, fühlten sich die Chefärzte durchaus etwas unbeholfen. „Im Grunde hechele ich meiner Schwester Anke hinterher“, gibt Dr. Thomas Günnewig gerne zu. „Es geht schon nicht so leicht von der Hand.“
Währenddessen flitzt Dr. Thomas Lawo, Chefarzt der Kardiologie, im Pflege-Outfit mit dem Wiegestuhl über Station 2b. Sind die Wassereinlagerungen der Patientin zurückgegangen, hat sie Gewicht verloren? Wild drückt der Pflegehelfer für einen Tag auf die Knöpfe. „Hier ist eine Fehlermeldung“, stellt er fest und schaut Ulrike Ruhnau fragend an. Die erfahrene Gesundheits- und Krankenpflegerin schmunzelt und hat direkt des Rätsels Lösung: „Die Patientin muss nur kurz einmal aufstehen, dann geht es wieder.“ Kniffe wie diese kennt der Chef nicht. Was die Pflege außerhalb der Visite leistet, das bekommen die Ärzte oft nicht mit. Dennoch ist Ulrike Ruhnau mit ihrem Pflegehelfer sehr zufrieden und positiv von seinem Einsatz überrascht: „Er hat wirklich alles mitgemacht, er hat mit mir eine bettlägerige Patientin komplett gewaschen und ihr hinterher Essen gereicht. Da hat er sich sehr geschickt angestellt. Ich denke, beide Seiten haben davon profitiert.“ Das sieht Dr. Lawo nicht anders: „Es war ein erhellender Morgen für mich. Ich habe viel gesehen und gelernt, erfahren wie anstrengend Pflege ist, aber auch wie schön sie sein kann. Die Dankbarkeit der Patienten ist wirklich außerordentlich.“ Im Rahmen der gemeinsamen Frühschicht haben die beiden ein paar Mängel in der Zusammenarbeit aufgedeckt. Das wollen sie nun ändern.
Zurück auf Station 1b: „Betten beziehen ist einfach, das kenne ich von zu Hause“, tönte der Pflegehelfer Günnewig noch, als Schwester Anke zum ersten Mal eine Rüge verteilen muss: „Die Bettwäsche gehört auf keinen Fall auf den Boden. Die muss sofort in den Wäschesack draußen vor der Tür.“ Weiter geht es ins nächste Zimmer. Eifrig schiebt er den Wagen mit Handtüchern und Co. vors Patientenbett. „Stopp“, ruft Anke Kunze, „der Wagen muss draußen bleiben.“ Aber Schwester Anke sieht es gelassen. „Woher soll er das alles denn wissen?“ Anke Kunze ist dennoch mit ihrem Schützling sehr zufrieden: „Es gab ein paar holprige Angelegenheiten, dennoch hat er sich gut angestellt. Es hat Spaß gemacht. Ich finde es gut, dass unsere Chefärzte einen Einblick in unsere Arbeit bekommen, denn vieles wissen sie gar nicht.“
Derweil gewinnt auch Dr. Thomas Schmitka, Chefarzt der Radiologie, auf Station 1a einen ganz neuen Blick auf die Abläufe im Krankenhaus: „Ich war gespannt, ob es harmoniert. Aber aller Zweifel war grundlos. Es sind die flachen Hierarchien, die uns als Haus auszeichnen.“ Einige Abläufe waren ihm zwar vertraut, über den Umfang der Dokumentation war jedoch erstaunt: „Da muss man schon schauen, wo genau was hingehört.“ Etwas orientierungslos schaut auch Dr. Ulrich Schneider, Chefarzt der Unfallchirurgie, auf die Dokumentations-Wüste. „Wir Ärzte müssen auch viel aufschreiben. Aber das hier ist eine ganz andere Nummer, überwältigend. Jedes Detail des Zustandes wird dokumentiert über Fähigkeiten, Essgewohnheiten, Zustand… Großen Respekt vor der Leistung der Pflege hatte ich immer schon. Wir sind hier ein gutes Team. Manche Dinge sieht man jetzt klarer, auch wie wir Ärzte die Pflege noch unterstützen könnten.“ Dr. Schneider verspricht: „Wir werden diese Dinge in der nächsten Chefarzt-Sitzung besprechen und sehen, was wir tun können.“ Das freut Patricia Jankowiak zu hören. Eine weitere Geste der Wertschätzung. Mit der Arbeit ihres Pflegehelfers ist sie sehr zufrieden: „Es sieht die Aufgaben selbst, ist sehr engagiert.“ Die Schweißspuren auf seinem Kasack bestätigen das.
Die Aktion hat so manche Augen geöffnet. Und Dr. Günnewigs Fazit nach sieben Stunden schweißtreibender Arbeit fasst zusammen, was sich alle wünschen: „Ich habe noch einmal viel Respekt für die Pflege dazu gewonnen.“